Eröffnungsrede
Menschengemachtes gibt es schon sehr lange. Denken wir nur an die prähistorischen
Höhlenmalereien, an archäologische Funde früher Siedlungen, an die wunderbaren
Zeugnisse früher Hochkulturen, wie die der Azteken, Ägypter, Griechen und noch viele mehr.
Menschengemachtes geht weit. Begonnen hat es mit Nahrung, die am Feuer gegart wurde,
mit Tierhautbearbeitung und frühem Ackerbau, über Veränderung wild vorkommender
Pflanzen und Tiere durch selektive Aussaat und Züchtung. Der Mensch hat gefunden und
gelernt und Herstellungsprozesse entwickelt, die z.B. Erz in Metall, Kohlenstaub in Diamanten
umwandeln können. Aus den in der Natur vorkommenden Rohstoffen werden ihm dienende
Materialien. Darüber hinaus geht das neuzeitliche Machen soweit, dass unsere Nahrung
gentechnisch verändert, Lebewesen geklont werden können. Auch im Unsichtbaren sind wir
fast überall von Menschgemachtem umgeben, seien es als Beispiel Abgase oder Strahlungen
der Handyantennen.
Wie gesagt, Menschengemachtes gibt es schon sehr lange.
Gewordenes gibt es aber noch viel länger. Glaubt man den Wissenschaftlern, gab es vor
unvorstellbarer Zeit einen Urknall, der das Universum werden ließ. Glaubt man der Bibel,
ward auf ein Wort Gottes Licht. Beides schließt sich m. E. nicht aus, da beides jenseits
unseres Vorstellungsvermögens liegt.
Gewordenes beinhaltet Veränderung. Dies ist nachvollziehbar, da wir Beweise dafür finden.
So zeigen Bohrungen im Grönlandeis, dass es schon immer zyklischen Klimawandel gab.
In unserer Heimat sehen wir am Rheintal, dass es auch hier schon Zeiten gab, als dicke
Eisschichten die Landschaft bedeckten, die dann mit der Klimaerwärmung schmolzen.
Der Rheingraben zwischen Vogesen und Schwarzwald ist uns allen ein vertrautes Bild.
“Veränderung ist das einzig Beständige” erkannte schon seinerzeit Heraklit. Es liegt dem
Gewordenen inne, aber auch das Menschgemachte unterliegt der ständigen Veränderung.
Gewordenes und Menschengemachtes harmonierten, solange das tägliche Leben des
Menschen vom Rhythmus der Natur bestimmt war.
Erst mit Beginn des Industriezeitalters begann sich der Mensch vom Rhythmus der Natur zu
lösen und somit wurde das, was er erfand, schaffte und machte, zunehmend antibiotisch.
Aussterbende Pflanzen- und Tierarten, Umweltverschmutzung, körperliche Degeneration
durch falsche Lebensgewohnheiten und denaturierte Nahrungsmittel zeigen deutlich, dass
sich der Mensch durch sein Menschgemachtes vom Gewordenen, dessen untrennbares Teil
er ist, entfernt hat.
Anklagen ist nicht die Absicht von FOTOGRAFIE K6. Und doch haben wir uns den
Widerspruch von Gewordenem und Menschengemachtem zum Thema genommen und
versucht, dies fotografisch darzustellen. Dinge, die nicht offensichtlich sind, können wir nicht
fotografieren. Deshalb liegt der Schwerpunkt unserer Fotografien auf Bauwerken,
Kunstwerken, Hinterlassenem in der Landschaft. Da der Mensch gerade in Europa die
Landschaft praktisch nirgendwo unberührt gelassen hat, eine Kulturlandschaft daraus
gemacht hat, würde ja bereits das Foto eines Parks unser Thema erfüllen.
Reizvoller ist aber doch das offensichtlich Gemachte, wie Staumauer, Radioteleskop, selbst
einen Hochsitz im Umfeld von Natur aufzuspüren und bei geeigneten Lichtbedingungen und
Wetterstimmungen zu fotografieren.
So sind im Laufe eines Jahres diese Bilder entstanden, in denen - wie erwähnt - nicht die
Anklage im Vordergrund steht sondern versucht wurde, ästhetische Bilder mit gelungener
Bildkomposition zu machen. Menschengemachtes, das auf sich aufmerksam machen will,
war das Ziel. So haben Motive wie ein Bunker oder ein Kunstwerk friedvoll nebeneinander
Platz gefunden.
Wenn wir darüber hinaus manchmal noch anregen können, über das Gezeigte
nachzudenken, dann hat sich unsere Mühe gelohnt.
Rolf Pessel im Jan. 2014